H. C. Affolter: Die Bauernhäuser des Kantons Bern

Titel
Die Bauernhäuser des Kantons Bern.


Autor(en)
Affolter, Heinrich Christoph
Reihe
Teilband 4.1
Erschienen
Basel 2019: Hauswedell Verlag
Anzahl Seiten
324 S.
von
Jean-Pierre Anderegg

Der Band 30.1 der Reihe Die Bauernhäuser der Schweiz bringt die Darstellung der bäuerlichen Hauslandschaften des deutschsprachigen Kantonsteils zum Abschluss. Als Verfasser zeichnet, wie schon für die vorausgegangenen Berner Bände 1 bis 3, der Historiker Heinrich Christoph Affolter. Als versierter Hauptredaktor hat er während 36 Jahren die einmalige bernische Bausubstanz beackert und eine reiche Ernte eingefahren. Das macht ihm auch auf schweizerischer Ebene nicht so leicht jemand nach! Ergänzt wurde der Haupttext mit Kurzbeiträgen von Spezialisten aus Geografie, Kunstgeschichte und Volkskunde.

Das Bandgebiet umfasst das Seeland im engeren Sinn und zusätzlich eine Restfläche des tieferen Mittelandes (vgl. Band 3), das Bipperamt. Die offenbar verlegerisch bedingte Zusammenlegung zweier räumlich getrennter und auch recht unterschiedlicher Gebiete ist nicht ganz nachvollziehbar. Andererseits gibt es durchaus typologische Gemeinsamkeiten in der Grossregion Mittelland vom Aargau bis ins Murtenbiet, nämlich zum Beispiel das sogenannte Hochstudhaus.

Beherrscht im Umfeld des Grossen Mooses in älterer Zeit dieser Ständerbau unter ehemals strohgedecktem Vollwalmdach die hauskundliche Szene, so sind es zwischen See und Jura die Weinbauernhäuser aus Stein, die einen unverwechselbaren Akzent setzen. Sie haben Anteil an den westschweizerischen Rebbauregionen. Jüngere Hausformen der bäuerlichen Mischwirtschaft mit Getreide-, später auch Gemüsebau und Viehzucht bedienen sich ab dem 19. Jahrhundert des Fach- und Mauerwerks, mit oder ohne die Ründi, die dann zu ihrem Siegeszug in vielen bernischen Hauslandschaften ansetzt. Damit einher geht der Wechsel von der Trauf- zur Giebelfront (was mit dem ungewohnten Begriff der jeweiligen «Fassadierung» umschrieben wird).

Ein Hauptverdienst des Buchs liegt in den detaillierten Hausmonografien, für die jeweils ein ganzes Team von Spezialisten aufgeboten wurde: Bauzeichner, Dendrochronologen, Architekten, Archivforscherinnen … Das Resultat sind Serien von Bauaufnahmen, 15 an der Zahl, welche die verschiedenen Bauphasen übersichtlich darstellen.

Als Paradebeispiele einer solchen ausführlichen Hausmonografie seien erwähnt: je zwei Bohlenständerbauten des 17. Jahrhunderts in Oberbipp und Meienried und des 18. Jahrhunderts in Gampelen sowie ein Massivbau des 19. Jahrhunderts in Attiswil. Dank der reichen Archivquellen durfte das in Ins museal erhaltene Haus von Albert Anker von 1803 ebenso wenig fehlen wie das Haus der Familie von Bundesrat Karl Scheurer in Gampelen von 1847.

Die Hauslandschaft am nördlichen Bielerseeufer umfasst praktisch nur die zwei Gemeinden Twann und Ligerz, nimmt aber im Band fast so viel Platz ein wie die vorausgehenden «Vielzweckhäuser». Tatsächlich verdient die grösste bernische Rebbauregion besondere Aufmerksamkeit. Darauf verweist schon das Titelblatt des Buchs, das ein Weinbauernhaus in Ligerz (Dorfgasse 15) abbildet. Ins Auge fallen gleich mehrere lokale Charakterzüge: der hohe (dreigeschossige) Steinbau mit Aussentreppe, der Aufzuggiebel im Dach (für Waren und Holz) und der nicht seltene Brückenschlag über die Gasse zu einem zweiten Haus des gleichen Besitzers.

Von hoher Qualität («nationale Bedeutung» laut ISOS) sind auch die Siedlungen, wie sie sich vor allem vom See aus präsentieren. Diese Einmaligkeit haben Zeitgenossen schon im 18. Jahrhundert erfasst. Die vier im Museum von La Neuveville verwahrten Ölgemälde von 1740 (mehrheitlich von Johann Grimm, 1675 – 1747) erhalten deshalb einen jeweils doppelseitigen Ehrenplatz im Band. Der Eindruck der einmaligen Geschlossenheit ist vor allem der fast durchgehenden Reihenbauweise geschuldet. Eine Besonderheit sind die vorgelagerten «Bürinen», von Mauern eingefasste Gartenareale, die aber in Folge der Seeabsenkung nach der Juragewässerkorrektion den Seeanstoss verloren haben. Nach wie vor landschaftsprägend sind hingegen die Natursteinmauern der Rebterrassen von über 80 Kilometern Länge.

Eine weitere hauskundliche Sonderform des Bandgebiets sind die übrigens im ganzen Schweizer Mittelland relikthaft vorkommenden spätmittelalterlichen «Stöcke», gemauerte Wohnhäuser reicher Bauern, die sich von der üblichen Holzarchitektur deutlich abheben. Als Prototyp unter nicht weniger als sechs Inser Objekten wird das Haus am Rebstockweg 7 von 1553 abgehandelt, das laut dem ausführlichen Baubeschrieb über fünf Jahrhunderte hinweg zum Grossbauernhaus erweitert worden ist. Typische Fassadenmerkmale der Stöcke sind die spätgotisch gekehlten Zwillings- und Reihenfenster.

Seit dem 18. Jahrhundert wird das bäuerliche Wohnhaus dann mit achsensymmetrischer Befensterung und oft mit einer Ründi versehen. Es begegnet in den verschiedensten Formen und Grössen, bis hin zum bescheidenen, zweiachsigen Fachwerkhäuschen. Das Buch schliesst mit einer Auflistung der Grundtypen von Speichern und Ofenhäusern und einer kurzgefassten Aneinanderreihung von Dekorationselementen. Ungewöhnlich für die Buchreihe, aber interessant als Quelle der Sozialgeschichte ist der Haushaltrodel der Kirchgemeinde Ligerz, der mit den demografischen Einträgen dreier Pfarrherren der Jahre 1773, 1791 und 1809 korreliert. Hier findet man zum Beispiel auch die Besitzer und Bewohner des Hauses Dorfgasse 15 wieder.

Als sehr hilfreich erweist sich das – in den meisten Bauernhausbänden leider fehlende – Gebäuderegister, das den Benutzer direkt zu den Referenzobjekten führt. Damit ist mit den rund 330 aufgeführten Bauten auch ein bemerkenswerter Schritt Richtung Inventarband getan.

Zitierweise:
Jean-Pierre Anderegg: Rezension zu: Affolter, Heinrich Christoph: Die Bauernhäuser des Kantons Bern. Teilband 4.1: Seeland und Bipperamt. Basel: Schweizerische Gesellschaft für Volkskunde 2019. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 83 Nr. 1, 2021, S. 48-50.

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Zuerst veröffentlicht in

Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 83 Nr. 1, 2021, S. 48-50.

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